Nachruf Georg Stucky (6.10.1930 - 29.8.2020)

Quelle: «Bibliothek am Guisanplatz»

Sein Testatheft trug die Nummer A19. Er war der 19. Ausländer an der in den ersten Nachkriegsjahren noch völlig unbekannten Freien Universität Berlin. Im Studentenheim wohnten neben Walter Hofer, dem späteren Professor für Zeitgeschichte und Nationalrat, ausschliesslich Kommilitonen aus der Sowjetzone. Deren Erfahrungen mit dem Kommunismus prägten den Zeitgeist und so zog auch Georg Stucky am 17. Juni 1953 zu den grossen Demonstrationen gegen die DDR-Führung nach Ostberlin. Das Abenteuer endete mit dem Schuss eines Russen ins Knie und zwei Wochen Bettruhe.

Es war dies eine der ersten Schlüsselszenen im bewegten Leben des Verstorbenen. Aufgewachsen in Basel kam er 1938 als Achtjähriger nach Cham, wo sein Vater zum Pfarrer gewählt worden war. Nach der Matura an der Kantonsschule Zug, begann er an der Uni Zürich mit dem Studium der Rechte. Der Abschluss mit Doktorat und anschliessendem Anwaltspatent erfolgte dann nach dem Berliner Abstecher an der Uni Basel. Sein Credo war aber schon damals «Kurze Ausbildung - umfassende Praxis».

So siedelte Georg Stucky 1958 erst 28jährig nach Hamburg zur Ölgesellschaft DEA, der späteren Deutschen Texaco. Das führte zu exotischen Reisen in Mittelmeerländer wie Syrien, Libyen und Algerien – damals wie auch heute wieder alles andere als Touristenziele - und gipfelte 1963 in der Leitung der libyschen Texaco-Tochter, was die Wohnsitznahme der Familie in Tripolis zur Folge hatte. Es waren abenteuerliche Jahre in einem muslimischen Land. 1967 erlebten die Stuckys während des Sechstagekriegs ein Pogrom und hatten danach das Haus voller jüdischer Flüchtlinge. Georg sorgte schliesslich unter Inkaufnahme beträchtlicher Risiken zusammen mit einer Vertreterin des Roten Kreuzes dafür, dass diese Flüchtlinge nach Spanien ausgeflogen werden konnten. Als er auch noch die Tochtergesellschaften Syrien und Libanon übernahm und er sich gegen die drohenden Verstaatlichungen wehrte, hielt ihm einmal ein Ölminister die Pistole vor die Nase.

Mit der Rückkehr 1967 nach Steinhausen als Chef der Texaco Schweiz AG änderte sich Stucky’s Leben erneut komplett. Er baute sich rasch ein grosses Netzwerk auf. Davon zeugt nicht zuletzt die Wahl zum Präsidenten der Evangelisch-Reformierten Kirchgemeinde des Kantons Zug. 1971-1979 zog ihn die Schweizer Politik als Geschäftsführer der Erdöl-Vereinigung zunehmend in den Bann. Was lag da näher, als selber gestaltend in die Politik zu wechseln! Nach dem Rücktritt der beiden bisherigen FDP-Vertreter Bonaventura Iten und Hans Straub nominierte die Partei 1974 mit ihm, Andreas Iten, Andrew P. Müller und dem Schreibenden ein Kandidatenkleeblatt. Georg Stucky zog mit Andreas Iten in den Regierungsrat ein und übernahm die Finanzdirektion. In dieser Funktion formulierte er bis 1990 die den Kanton bis heute prägende Steuerpolitik. Zug wurde von einem der ärmsten zum wohlhabendsten Kanton. Seine Methode war ebenso einfach wie anspruchsvoll: „Sparsam mit den Steuergeldern umgehen, nach Überschüssen die Steuern senken und damit neue Steuerzahler anziehen“. 1979-1999 bildete er im Nationalrat als Vizepräsident der Kommission für Wirtschaft und Abgaben in der Wirtschafts- und Steuerpolitik eine gewichtige Stimme, die später zu zahlreichen Berufungen in die Leitungsorgane grosser Firmen führte. Geprägt durch seinen eigenen Lebenslauf war ihm als Nationalrat zudem die Interessenvertretung für die Fünfte Schweiz ein grosses Anliegen. Dass auch die Auslandschweizer seit 1992 stimmen und wählen können, ist weitgehend Stucky’s Verdienst. Er gilt denn auch zu Recht als Vater des Stimm- und Wahlrechts für Auslandschweizer. Die spätere Übernahme des Präsidiums der Auslandschweizerorganisation ASO 1998-2007 war eine logische Folge.

Weltgewandtheit, intellektuelle Brillanz und Herzlichkeit prägten die aussergewöhnliche Persönlichkeit, die am 29. August 2020, wenige Wochen vor seinem neunzigsten Geburtstag, nach längerer Krankheit verstarb. Die FDP.Die Liberalen des Kantons Zug trauert um einen Liberalen, dem unser Kanton viel verdankt.

Ulrich Bollmann, Zug